Laudatio

Zur Preisverleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2000

Liebe Freundinnen und Freunde,
letztes Jahr wurden Frau Simin Behbahani, unsere beliebte und mutige Lyrikerin, und ich in diesem Haus mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille geehrt. Diese Auszeichnung ermöglichte es uns, die Menschenrechtsverletzungen in Iran einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, besonders jene, die gerade in den letzten Jahren Schriftsteller und Journalisten betrafen und immer noch betreffen. Die Ehrung fand nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit und in iranischen Exilzeitschriften grosse Beachtung, sondern selbst im Iran, wo derartige Ereignisse normalerweise totgeschwiegen werden sollen. Einige der reformorientierten Zeitungen und Zeitschriften, die es damals wagten – wenn auch kommentarlos - die Preisverleihung zu vermelden, sind heute verboten. Regierungstreue Zeitung, „Kayhan“, die im Dienst der Geheimdienstes der Islamischen Republik steht, hat auf gewohnte Weise reagiert: mit Beschimpfungen und Bedrohungen.
Die bedeutendste Reaktion - zumindest für mich - war jene meiner ehemaligen Mitgefangenen. Ich erhielt diese Auszeichnung aufgrund meines Erfahrungsberichts über meine neunjährige Gefangenschaft in der Islamischen Republik. Wie es mein Wunsch war, empfanden meine Mitgefangenen diese Auszeichnung, auch als Würdigung ihres eigenen Widerstandes. Es zeigte ihnen, dass unsere Stimme, die im Iran zum Schweigen gebracht worden war, nicht wirkungslos verhalt, sondern Gehör findet.
Heute werden von der Internationalen Liga für Menschenrechte die Menschen gewürdigt, die sich im Geiste Carl-von-Ossietzky gegen Rassismus und Neonazismus einsetzen und damit zur Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft beitragen.
In der Zeit von Carl-von-Ossietzkys, besonders in seinen späten Lebensjahren war Deutschland von Rassismus und Nazismus geprägt. Lange Zeit versuchte man zu glauben, dass die verbrecherische Ideologie des Nazismus aus Deutschland für immer verschwunden sei. Doch die deprimierende Bilanz und die Vorkommnisse in der gegenwärtigen Realität beweisen Anderes: Seit zehn Jahren, besonders in der letzten Jahren nehmen Rassismus und Neonazismus in der Bundesrepublik Deutschland stark zu.
Wiederholt sich die Geschichte?
Wir versuchen die Hoffnung nicht zu verlieren und mit allen Kräften die fatale Wiederholung der Nazi Zeit zu verhindern - jener schwärzesten Periode in der Geschichte der Menschheit. Die Hoffnung darauf gibt uns Mut, sollte uns aber nicht dazu verleiten, die Realität zu verharmlosen oder zu unterschätzen. Kann man die hohe Zahl der Gewalttaten gegen Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder einfach, weil sie „anders“ erscheinen, dulden oder die Anschläge gegen jüdische Friedhöfe wirklich ignorieren?
Gleichgültig dabeizustehen reicht nicht aus, um sich von fremdenfeindlichen Aktivitäten zu distanzieren. Zu Schweigen bedeutet eine Ermutigung rechter Gewalttäter. Es vermittelt ihnen das Gefühl der Akzeptanz. Die Aussage des Vereins „Opferperspektive“ sollte uns alarmieren: „Der Veränderungsprozess spielt sich quasi unter den Augen der Öffentlichkeit ab, wird aber von dieser nicht wahrgenommen.“ (Zitat ende)
Die Geschichte lehrt uns, dass der Nationalsozialismus nur deshalb möglich war, weil viele normale Bürger - aktiv und passiv - an schweren Menschenrechtsverletzungen mitgewirkt haben. Auch haben wir gelernt - und ich bin fest darüber überzeugt, (vielleicht wegen meiner erzwungenen Heimatlosigkeit), dass der Angriff auf anderen Menschen ein Angriff auf uns alle ist.
Dem entgegenzuwirken, dafür stehen diejenigen, die hier und heute geehrt werden.
Ich möchte die Gelegenheit, die Laudatio für die Medaillen-Träger und Trägerinnen des Jahres 2000 halten zu dürfen, nutzen, um meine Solidarität mit ihnen auszudrücken. Auch mich besorgt der zunehmende Rechtsextremismus zutiefst, zum einen weil ich als Flüchtlinge hier in Deutschland Schutz und Sicherheit vor Verfolgung gesucht habe, zum anderen – und dies ist der wichtigere Grund - weil sich Rassismus und Neonazismus gegen alle Menschen richten.
Warum bin ich aus meinem Land geflüchtet? Warum mußten mehr als 3 Millionen Iraner und Iranerinnen in den letzten 22 Jahren ihr Land verlassen? Iran unter der Islamischen Republik ist nur ein Beispiel. Ein Beispiel für viele Länder, die von Diktatoren regiert werden und in denen Menschenrechte nichts bedeuten und das Unbedeutendste vor allem sind.
Wo ist mein Platz, in einem Land, in dem jede Forderung nach mehr Meinungsfreiheit und jede Art von Widerstand gegen die herrschende Repression als „Feindschaft mit Gott“ bezeichnet wird und mit Verhaftung, Folter und sogar Hinrichtung bestraft wird? Wo ist unser Platz?
In einem Land, in dem eine uneheliche und die homosexuelle Liebesbeziehung schon ausreichen, um ausgepeitscht oder sogar gesteinigt zu werden, wie hätte ich, hätten wir schweigen können?
Die Zahl der iranischen Flüchtlinge hat - trotz aller Hindernisse – zugenommen. Auch die Zahl der iranischen Flüchtlingen in Deutschland. Dies zeigt, dass sich die politische Situation in Iran nicht verbessert hat. Weiterhin befinden sich viele Journalisten, Publizisten und Studenten in Haft. Einige von ihnen sind angeklagt, weil sie an der Iran-Konferenz teilgenommen haben. Diese Konferenz, die von der Heinrich-Böll-Stiftung organisiert wurde, fand im vergangenen April hier in diesem Haus statt.
Auch die Diskriminierung der religiösen Minderheiten geht weiter. Die islamische Regierung weigert sich immer noch, Frauen elementare Grund- und Menschenrechte zu gewähren. Hinrichtungen, Folterungen und grausame, unmenschliche und entwürdigende Strafen wie Steinigung und Amputation finden weiterhin statt. International anerkannten Menschenrechtskommissionen - wie der Menschenrechtskommission der UNO, Amnesty International und anderen - wird die Einreise in den Iran verwehrt. Die Islamische Republik Iran hat sich seit jeher geweigert, die Konvention gegen Folter von 1984 und das „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ zu unterzeichnen.
Diese staatlichen und offiziellen Menschenrechtsverletzungen werden durch westliche Staaten, darunter auch Deutschland, bei ihren diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der islamischen Regierung in Iran ignoriert. Das Mykonos-Urteil, in dem der iranischen Geheimdienst und das „geistige Oberhaupt“ des Irans für den Ermordung der vier Oppositionellen in Berlin verantwortlich gemacht wurde, ist leider weitgehend folgenlos geblieben.
Der Fall des Irans macht deutlich, warum Menschen ihr Land verlassen müssen.
Am heutigen Tage, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, werden die Selbsthilfegruppe „Brandenburger Flüchtlinge“, der Journalist Frank Jansen und der Verein „Opferperspektive“ mit der Carl-von-Ossietzky-Madaille 2000 geehrt. Die gemeinsame Würdigung halte ich für ein wichtiges Signal. Sie drückt aus, dass man die Gesellschaft nur gemeinsam verändern kann. Die gemeinsame Würdigung betont den politischen Zusammenhang der einzelnen Aktivitäten und Gruppen. Das Engagement von der Selbsthilfegruppe „Brandenburger Flüchtlinge“, von Frank Jansen und des Vereins „Opferperspektive“ ergänzen einander. Sie verfolgen ein gemeinsames Ziel. Jeder versucht mit seinem Beitrag den Gewalttaten des Rechtsextremismus und dem Verhalten der schweigenden Mehrheit entgegenzuwirken und die Menschenwürde zu verteidigen. Ihr Mut und ihr Engagement geben uns die Hoffnung, dass sich der Faschismus nicht wiederholt.
Diese Auszeichnung kann und soll als Appell verstanden werden. Als Appell, jene nicht allein zu lassen, die mit Zivilcourage vorangehen. Man muß diese Menschen mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln bestärken

Die Selbsthilfegruppe „Brandenburger Flüchtlinge“ setzt sich eindringlich für die Rechte von Flüchtlinge ein. Sie weisen darufhin, dass auch die Rechtlosen Rechte besitzen. Dabei geht es vor allem um die Menschenwürde. Sie ist im Grundgesetz der Bunsesrepublik Deutschland verankert und ist ein Menschenrecht und kein Staatsbürgerrecht.
Die Organisation „Brandenburger Flüchtlinge“ kämpft gegen die fatale Gewohnheit, Flüchtlinge als ohnmächtiges Opfer zu betrachten. Die beteiligten Frauen und Männer, die ihre unerträgliche Lebenssituation zu verbessern versuchen, brechen aus der traditionellen Rolle des passiven Opfer aus, die die Machthaber und ein grosser Teil der Bevölkerung ihnen zugedacht hat.
Christopher Nsoh, Sprecher der Organisation hat ihr Ziel folgendermaßen definiert: „Wir müssen zusammenarbeiten, um der Regierung zu sagen: wir sind keine Tiere. Wir sind Menschen auf demselben Niveau wie sie.“
Sie zeigen die herrschenden Mißstände auf, um eine Verbesserung der Lage von Flüchtlinge zu erreichen. Beispielsweise fordern sie die Schließung der in den Wäldern abgelegenen Heime, die Abschaffung der Residenzpflicht und den Zugang zu Sprachkursen und dem Arbeitsmarkt.
Sie sind aus Diktaturen geflüchtet - aus der politischen Unterdrückung und Verfolgung und vor Kriegen - um hierzulande Sicherheit und Frieden zu finden. Doch was erwartet sie? Auf der einen Seite die Gefahr rechtsextremistischer Übergriffe, auf der anderen Seite ein Asylgesetz und -verfahren, die mit immer neuen Bestimmungen verschärft werden. Und eine ständige Drohung abgeschoben zu werden. Es stellt sich die Frage, ob der zunehmende Rechtsextremismus nicht auch Folge dieser Politik der Ausgrenzung ist? Es wird kaum möglich sein, ohne eine humane und menschenrechtsorientierte Asylpolitik, die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland zu stoppen.
Es gehört zu den politischen Leistungen der Gruppe „Brandenburger Flüchtlinge“, dass sie mit dem Versuch, sich zur Wehr zu setzen gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit, eine wichtige Initiativen gegen die recht Gewalt im Interesse aller Menschen, die hier in der Bundesrepublik Deutschland leben, anregen.
Die Forderung der „Brandenburger Flüchtlinge“, als Menschen behandelt zu werden, weist über einen reinen Kampf für ihre eigenen Rechte hinaus. Ihre Bewegung gehört zu den vielen Widerstandsbewegungen gegen den Rassismus - weltweit. Gerade hier liegt die grosse Bedeutung dieser Organisation.
Durch Frank Jansens Berichte und Reportagen erfahren wir mehr von der Situation der Flüchtlinge, von ihren Sorgen und ihrer Ratlosigkeit, aber auch von ihre Solidarität untereinander und von ihrem Mut.
Wir alle wissen, wie wichtig die Rolle der Medien in bezug auf die Gefahr des Rassismus und des Neonazismus ist. Medien können zur Verharmlosung dieser Bedrohung beitragen. Sie können aber auch die Gefahr des zunehmenden Rechsextremismus, die von Teilen der Polizei, Justiz und Politik zu vernachlässigen versucht wird, einer breiten Öffentlichkeit aufzeigen. Dank mutiger Journalisten, wie Frank Jansen, hat ein grosser Teil der Presse Themen über rechte Gewalt grössere Aufmerksamkeit gewidmet.
Frank Jansen berichtet seit Jahren regelmässig über rassistische, rechtsextreme Gewalt, speziell in Berlin und Brandenburg. Seine Artikel gehen über eine reine Tagesberichterstattung hinaus. Er betrachtet den Rechtsextremismus nicht als ein isoliertes, sondern als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Er gibt den Lesern und Leserinnen sachliche Hintergrundinformationen über das Ausmaß der Gewalt innerhalb der rechten Szene. Durch seine Artikel erfahren wir, wie die Neonazisten ihre geschlossene Gesellschaft organisieren, in der sie ihre eigene Anwälte, Sanitätstruppen und CD-Vertriebe haben und Kontakte zu Terrorgruppen aufbauen. Eine solche Arbeit erfordert ein hohes Mass an Engagement und persönlichem Mut. Er wurde bereits persönlich von einem Neonazi-Führer bedroht: „ Wenn es soweit ist, kommen Sie zu mir.“
In seinen Artikeln steht die Auseinandersetzung mit den Opfern nicht am Rande. Frank Jansen weist regelmässig auf Einzelschicksale hin - auf das Lebens der Menschen, das brutal zerstört wurde. Jansen trägt dazu bei, das wir uns die Schicksale der Opfer vor Augen zu führen. Damit wirkt er gegen die Gewöhnung und Verharmlosung. Seine Berichte lassen die Stimme der Opfer hörbar werden: „Wir brauchen nur Frieden. Wir wollen keinen Krieg mit deutschen Leuten. Aber die Leute gucken uns an, als seien wir vom Mond.“ (Zitat ende)
Auch Frank Jansen thematisiert die Gleichgültigkeit der Mitmenschen. Wir alle haben sicher nicht vergessen, dass die Übergriffe gegen Asylheime nicht selten unter dem Beifall der Anwohner stattfanden. Schlimmer noch: „Wer einen Ausländer aufnimmt, ist plötzlich selbst ein Fremder“. Diese hilflose Aussage stammt von der Familie Schröders, die einen Ghanaer adoptiert haben, der durch einen rechtsextremistischen Überfall bleibende Behinderungen zurückbehielt. Das Beispiel der Familie Schröders zeigt uns, dass es noch Hoffnungsschimmer gibt, und es Menschen gibt, die trotzt der drohenden Isolation versuchen, diesen Hoffnungsschimmern mehr Licht zu geben.
Auch der Verein „Opferperspektive“ tritt dem Schweigen und der Gleichgültigkeit entgegen. Er fordert eine gesellschaftliche Initiative, die die „politische Verharmlosung und die leeren Betroffenheitsgesten“ beendet. Die Beteiligten bemühen sich um alternative Handlungsmuster, bei denen gesellschaftliche Emanzipation und Partizipation im Mittelpunkt stehen. Dies wird in ihrem Programm deutlich: Ich zitiere: „Eine Parteinahme für die von rechter Gewalt Betroffenen und die gleichzeitig Entwicklung von Initiativen, die sich gegen Ausgrenzungsbestrebungen richten, verschaffen Handlungsalternativen anstelle von Ohnmacht und Angst.“ (Zitatende)
Um dies zu erreichen, halten sie ein aktives Bündnis von antifaschistischen Gruppen nötig.
Der Verein der „Opferperspektive“ ist durch die Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalt und durch die Solidarisierung mit ihnen von grosser Bedeutung. Sie versuchen, das Phänomen des Rechtsextremismus aus der Perspektive der Opfer zu betrachten. Sie fragen in ihrem Projekt: „Was bedeutet ein Angriff für die Opfer, für ihr Umfeld, für die Beziehungen zwischen Minderheiten und der deutschen Mehrheitsgesellschaft?“ (Zitat ende)
Das Ziel ihrer Arbeit, den Betroffenen zu helfen, richtet sich aber vor allem darauf, sie aus einer passiven Opferrolle herauszulocken, und sie zu ermutigen, aktiv zu werden und gemeinsame Perspektiven zu entwickeln. Wie eingangs erwähnt: Gemeinsamkeit ist Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz für die Menschenrechte.
Der Verein versucht, der einschüchternden Wirkung der rechten Gewalt entgegenzuwirken und damit auch die vielerorts anzutreffende rechte Hegemonie zurückzudrängen.
Und wir wissen, wie schwer ihre Aufgabe ist. Der Staat unterstützt sie nicht. Die Justizbehörden setzen sie unter Druck. Die schweigende Mehrheit ignoriert sie. Die Opfer haben Angst, sich bei ihnen zu melden. Sie müssen also nicht nur Fürsorge und Hilfe leisten, nicht nur für die Sichtbarkeit und Existenz der Opfer, sondern gleichzeitig auch für ihre eigene Existenz kämpfen. Sie kämpfen.
Wir brauchen sehr viele Organisationen, die aktiv für die Menschenrechte einstehen, wie der Verein „Opferperspektive“ und die Gruppe „Brandenburger Flüchtlinge“ sowie kompromißlose Journalisten, wie Frank Jansen, um hoffen zu können, dass in Deutschland in diesem Jahrhundert Rassismus und die verbrecherische Ideologie des Neonazismus keine Rolle mehr spielen.
Berlin, 10. Dezember 2000

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