Sommer 1988
Im Sommer 1988 kam es in den Gefängnissen der Islamischen Republik zu einem katastrophalen Ereignis. Tausende politische Gefangene wurden innerhalb von zwei Monaten ermordet.
Hinrichtungen, gerade auch solche aus politischen Gründen, waren im Iran nicht neu. Das Neue war diesmal, dass in jenem Jahr diejenigen hingerichtet wurden, die früher von den islamischen Gerichten zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren und jahrelang im Gefängnis gesessen hatten. Das geschah sogar mit solchen Gefangenen, die ihre Gefängnisstrafe bereits verbüßt hatten und hätten eigentlich entlassen werden müssen.
Wir wissen, dass die Gefangenen wegen ihrer Überzeugungen hingerichtet wurden. Es ist auch erwiesen, dass dieses Massaker infolge der Fatwas Khomeinis und von ihm ausgewählten dreiköpfigen Richtern, verübt wurde. Dies bestätigen die Aussagen von Ayatollah Montazeri, der damals als Nachfolge von Khomeini galt. Aber kurz vor seinem Tod hat Khomeine ihn wegen seiner Kritik an die Hinrichtungen abgesetzt.
Was im Sommer 1988 vorgefallen ist, ist das dunkelste Kapitel in der Geschichte der iranischen Gefängnisse.
Meine Erinnerungen an diesen Sommer vor 18 Jahren scheinen mir heute wie einen Alptraum. Es war ein Julitag, als wir im Radio hörten, dass die iranischen Regierung endlich die Resolution des UN- Sicherheitsrates, welche der Iran im Krieg gegen Irak akzeptieren musste, angenommen hat. Das Ende des Krieges sollte uns eigentlich glücklich stimmen. Aber alles schien sehr undurchsichtig. Khomeini hatte in seine Ansprache gesagt: „es ist für mich bitterer, diese Sache zu akzeptieren als Gift, aber ich leere diesen vergifteten Kelch für den Allmächtigen.“ Wer sollte den Preis dafür zahlen?
Kurz danach waren unsere Verbindungen zur Außenwelt unterbrochen. Wir bekamen keine Tageszeitung und auch keine Besuchserlaubnis mehr; sie montierten unsere Fernseher ab.
Eine Nacht, als wir schlafen gehen wollten, kam eine Pasdar ein und rief drei Gefangene aus. Sie wurden weggebracht und kamen nie wieder zurück. Maryam war eine von ihnen. Sie lächelte immer, aber an diesem Abend war ihr Lächeln verzerrt und voller Angst. Wir standen auf dem Flur und schauten machtlos zu, wie sie sich verabschiedeten. Ein paar Tage später wurde eine andere Gruppe ausgerufen und in zwei Wochen alle Volsmojahedin. Werden sie alle hingerichtet? Irgendeine stimme in uns versuchte, diese Apokalypse aus unserem Kopf zu streichen, diese unheilvolle Realität zu verdrängen.
Das Todesurteil wurde nach wenigen Fragen, erteilt. Welche Fragen bestimmten das Schicksal von den Tausenden Gefangenen? Ihre Meinung über das Prinzip der Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten und über die Islamische Republik. Ja, oft geschehen die Verbrechen so absurd und so einfach. Die Gefangene wussten überhaupt nicht, was ihnen bevorsteht.
Es war August 1988. Ab September begann das Massaker an die linken Gefangenen. Im sog. „Gerichtsaal“ hatte man ihnen die Fragen gestellt: „Seid ihr Moslimen?“ „Sprecht ihr eure Pflichtgebete?“ Die Gefangene, die die Fragen mit „nein“ beantworteten oder aus Protest zu
dieser Inquisition die Fragen überhaupt nicht antworteten, wurden sofort hingerichtet. Die linken Frauen wurden zum Peitschen verurteilt, bis zum Tode, falls sie keine Reue bekunden würden. 25 Peitschenhiebe in fünf Gebetsgänge. Alles sollte nach islamischen Gesetzen ausgeübt werden. Immer wenn wir den Ruf des Muezzins hörten, schnürte es uns die Kehle zu. Überall herrschte Todesstille. Auf einmal fünfundzwanzig Peitschenhiebe zu bekommen, ist schon schlimm genüg. Aber darauf warten zu müssen, fünfmal am Tag gepeitscht zu werden, ist ein Grauen ohne Ende.
Im September fand in Teheran die erste internationale Messe statt. Das Messegelände befand sich nicht weit vom Evin-Gefänfnis entfernt. Abends schauten wir durch die dicken Eisenstäbe unseres Zellenfensters den Himmel, in dem bunte Ballons mit Fahnen und Werbezeichen von multinationalen Firmen schwebten. Auf einem Ballon, der hoch über den anderen flog, erkannten wie die britische Flagge. Die Logik des internationalen Handels war nicht durcheinandergebracht. An diesen Tagen habe ich mich- wie allen anderen auch- vergessen gefühlt. Wir waren die Vergessenen dieses Informationszeitalters.
Nachts offenbarte sich unsere Unruhe in Alpträumen. Bei jedem kleinen Laut, den eine im Schlaf von sich gab, sprangen wie wir elektrisiert auf, suchten die träumende Mitgefangene, reichten ihr etwas Wasser und legten uns wieder hin. Wieder Schlaf und wieder Alpträume. Sie haben unsere Freunden, unsere Verwandte, unsere Zellengenossen umgebracht und uns, die Hinterbliebenen zerstört.
Erst im November wurde die Lage „normalisiert“. Wie bekamen wieder die Tageszeitungen und Besucherlaubnisse wurden wieder erteilt. Das war seit langem der erste Hoffnungsschimmer, obwohl wir uns nicht sicher sein konnten, daß dieser tödliche Sommer wirklich zu Ende war.
Im Besuchsaal weinten unsere Angehörige und waren verzweifelt. Tief besorgt flehten sie uns an, wir sollten aufgeben und uns nicht sinnlos opfern. Sie waren monatelang täglich zum Ewin-Gefängnis gekommen, in der Hoffnung, irgendetwas über den Gefangenen zu erfahren, aber mussten immer wieder ohne Nachricht nach Hause fahren. Dann erweiterten sie ihre Versammlungen. Sie versammelten sich vor dem Justizpalast und vor der Staatsanwaltschaft. Sie schreiben Briefen an das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen. Und zuletzt schrieben sie einen offenen Brief an Rafsanjani und stellten ihm ihre nie beantworteten Fragen:
wieviele wurden umgebracht? Warum und nach welchem Gesetz wurden sie zum Tode verurteilt und wo liegen die Toten?
Die Islamische Republik hat bis jetzt zu diesem Massaker geschwiegen und weigert sich, Informationen darüber zu geben. Man fragt, welche Hintergründe hatte diese verhängnisvollen Entscheidung. Ablenkung der Niederlage im Krieg oder Angriff der Volksmojahedin über die Grenze zu Irak? klare Erklärung zu diesen Fragen ist erst möglich, wenn die islamische Regierung gezwungen wird, die geheime Akte zu veröffentlichen.
Aber was dazu führte, die Unmöglichen möglich wurden, ist klar und umstritten: Es liegt in einem Rechtssystem, das eng mit dem Islam verbunden ist. Der Grundstein zu dem katastrophalen Massaker liegt an Ereignissen, die gleich nach der Machübernahme der Islamisten im Iran vorgekommen waren. Sie führten die islamischen Strafgesetzgebung, die mit der Konstitutionellen Revolution von 1906 abgeschafft wurde, wieder ein und gründeten die „islamische Tribunals“ und übertrugen die gesamte Justiz der Geistlichkeit. Die islamische Strafmaßnahmen wie das Abhacken von Händen bei Dieben, Auspeitschung und Steinigung wurden wieder eingeführt. Zum Ziel der politischen Unterdruckung tauchen religiöse Begriffe auf, wie „Unrein“, „Heuchler“, die so unklar sind, daß jeder Geistlicher sie willkürlich interpretieren und gegen sie Urteile aussprechen kann. So wurden Gefangene ohne einen rechtmäßigen gerichtlichen Prozess verurteilt und hingerichtet. Dies erreicht ihr Höhepunkt im Jahr 1988 und dauert bis heute.
Die Regierenden im Iran, die direkt und undirekt in den Verbrechen von 1988 teilhatten, wollen nicht, dass dieser Akt ans Licht kommt. Sie versuchen die Angehörige der Hingerichteten im Iran durch Einschüchterung und Terror zu entmutigen und sie zum Schweigen zu bringen. Aber die Mütter und Väter geben nicht auf. Sie organisieren jedes Jahr einen Gedenktag für ihre Töchter und Söhne und für all die namenlosen Helden, die ihre Leben für die Verteidigung und Ehre des Rechts auf freie Meinungsäußerung geopfert haben. Sie treffen sich in einem verlassenen Friedhof, wo vermutlich die Ermordeten in den Massengräbern liegen. Sie tragen die Fotos von ihrer ermordeten Kinder und decken die Erde, in der keine Grabstein zu sehen ist, mit Blumen. Der Friedhof heißt Khavaran und er ist dazwischen als ein Symbol für die Widerstand gegen die Vergessenheit geworden und auch als Beweis für die Verbrechen der Islamischen Republik.
Die Angehörigen der Hingerichteten haben versucht, von iranischen Gerichten Auskünfte zu erbeten. Vergeblich. Die Erpressungen und Bedrohungen von den Sicherheitskräften sind unendlich und immer Präsenz. Unter diesen Umständen scheint die Hoffnung, dass eine Klage gegen dieses Verbrechen vor einem iranischen Gericht erheben und dass RECHT gesprochen wird, wenig aussichtsreich.
Und wie ist die Gerichtsbarkeit auf die internationale Ebene? Gibt es Strafverfolgungsmöglichkeiten außerhalb des Irans, mit denen die Verantwortlichen des Massakers von 1988 vor Gericht gestellt werden zu können. In den letzten 20 Jahren hat die Volkergemeinschaft im allgemein akzeptiert, dass die schwere Menschenrechtverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf die internationale Ebene strafbar sind und hat neue Möglichkeiten geschaffen.
Auch Iraner im Exil, überall auf der Welt organisieren Gedenkveranstaltungen. Wir wollen, dass alle Details des Massakers 1988 aufgedeckt und in der Öffentlichkeit verbreitet werden. Wir bemühen uns Dokumente und Zeugenaussagen und Informationen zusammenzutragen, um Verletzungen der Menschenrechte in der Islamischen Republik zu belegen. Wir sind überzeugt, ohne Wahrheit zu finden und ohne Gerechtigkeit, in der die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sollen, kann Verbrechen, wie das Massaker von 1988 immer wiederholt werden.
Es ist ein schwieriges Prozess, in dem die Leiden der Opfer anerkannt werden und die Täter ihre Verantwortung für ihre Taten annehmen. Aber es ist einen untrennbaren Teil jedes ernsthaften Schritten zur Erhaltung der Menschenrechte. Dies soll dazu beitragen, ein Bewusstsein für die verletzten Menschenrechte zu schaffen. Von den Erfahrungen anderer Ländern zur Demokratisierung ihres Landes wissen wir, dass die Wahrheitskommission ein wichtiger Teil des Übergangs zur Demokratisierung und Wiederherstellung von RECHT ist.
Die Wahrheitskommissionen, z.B in Argentinien, Süd Afrika, usw. konnten einem wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung von Vergangenheit und zur Gestaltung von Zukunft leisten.
Was heute im Iran passiert, ist eine Folge der Vergangenheit, die immer geschwiegen und vertuscht worden ist. Iran ist immer wieder durch Umfang und Schwere der Menschenrechte in den öffentlichen Schlagzeilen. ai. hat die Lage der Menschenrechte im Iran äußerst schlecht gezeichnet:
„Eine große Zahl von Oppositionellen und Kritikern befindet sich in Gefängnissen, viele infolge unfairer Prozesse. Die Todesstrafe wird häufig angewendet, Folter ist üblich. Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind eingeschränkt, ethnische und religiöse Minderheiten werden verfolgt, Frauen im täglichen Leben diskriminiert. Anwälte, Journalisten und all diejenigen, die sich trauen, für die Menschenrechte einzutreten, tun dies unter dem ständigen Risiko der Inhaftierung oder der Willkür durch Sicherheitskräfte, die ungestraft handeln können.“ Jüngste ai Bericht zur Lage der Menschenrechtsverletzungen im Iram.
Vergessen wir nie, was geschah und geschieht. Wir werden, solange wir leben, darüber schreiben und reden, um es an die nächsten Generationen weiterzugeben, um ein kollektives Gedächtnis zu schaffen. In der Hoffnung, nie mehr, nie wieder die Würde der Menschen verletzt wird.
September, 1998
Hinrichtungen, gerade auch solche aus politischen Gründen, waren im Iran nicht neu. Das Neue war diesmal, dass in jenem Jahr diejenigen hingerichtet wurden, die früher von den islamischen Gerichten zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren und jahrelang im Gefängnis gesessen hatten. Das geschah sogar mit solchen Gefangenen, die ihre Gefängnisstrafe bereits verbüßt hatten und hätten eigentlich entlassen werden müssen.
Wir wissen, dass die Gefangenen wegen ihrer Überzeugungen hingerichtet wurden. Es ist auch erwiesen, dass dieses Massaker infolge der Fatwas Khomeinis und von ihm ausgewählten dreiköpfigen Richtern, verübt wurde. Dies bestätigen die Aussagen von Ayatollah Montazeri, der damals als Nachfolge von Khomeini galt. Aber kurz vor seinem Tod hat Khomeine ihn wegen seiner Kritik an die Hinrichtungen abgesetzt.
Was im Sommer 1988 vorgefallen ist, ist das dunkelste Kapitel in der Geschichte der iranischen Gefängnisse.
Meine Erinnerungen an diesen Sommer vor 18 Jahren scheinen mir heute wie einen Alptraum. Es war ein Julitag, als wir im Radio hörten, dass die iranischen Regierung endlich die Resolution des UN- Sicherheitsrates, welche der Iran im Krieg gegen Irak akzeptieren musste, angenommen hat. Das Ende des Krieges sollte uns eigentlich glücklich stimmen. Aber alles schien sehr undurchsichtig. Khomeini hatte in seine Ansprache gesagt: „es ist für mich bitterer, diese Sache zu akzeptieren als Gift, aber ich leere diesen vergifteten Kelch für den Allmächtigen.“ Wer sollte den Preis dafür zahlen?
Kurz danach waren unsere Verbindungen zur Außenwelt unterbrochen. Wir bekamen keine Tageszeitung und auch keine Besuchserlaubnis mehr; sie montierten unsere Fernseher ab.
Eine Nacht, als wir schlafen gehen wollten, kam eine Pasdar ein und rief drei Gefangene aus. Sie wurden weggebracht und kamen nie wieder zurück. Maryam war eine von ihnen. Sie lächelte immer, aber an diesem Abend war ihr Lächeln verzerrt und voller Angst. Wir standen auf dem Flur und schauten machtlos zu, wie sie sich verabschiedeten. Ein paar Tage später wurde eine andere Gruppe ausgerufen und in zwei Wochen alle Volsmojahedin. Werden sie alle hingerichtet? Irgendeine stimme in uns versuchte, diese Apokalypse aus unserem Kopf zu streichen, diese unheilvolle Realität zu verdrängen.
Das Todesurteil wurde nach wenigen Fragen, erteilt. Welche Fragen bestimmten das Schicksal von den Tausenden Gefangenen? Ihre Meinung über das Prinzip der Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten und über die Islamische Republik. Ja, oft geschehen die Verbrechen so absurd und so einfach. Die Gefangene wussten überhaupt nicht, was ihnen bevorsteht.
Es war August 1988. Ab September begann das Massaker an die linken Gefangenen. Im sog. „Gerichtsaal“ hatte man ihnen die Fragen gestellt: „Seid ihr Moslimen?“ „Sprecht ihr eure Pflichtgebete?“ Die Gefangene, die die Fragen mit „nein“ beantworteten oder aus Protest zu
dieser Inquisition die Fragen überhaupt nicht antworteten, wurden sofort hingerichtet. Die linken Frauen wurden zum Peitschen verurteilt, bis zum Tode, falls sie keine Reue bekunden würden. 25 Peitschenhiebe in fünf Gebetsgänge. Alles sollte nach islamischen Gesetzen ausgeübt werden. Immer wenn wir den Ruf des Muezzins hörten, schnürte es uns die Kehle zu. Überall herrschte Todesstille. Auf einmal fünfundzwanzig Peitschenhiebe zu bekommen, ist schon schlimm genüg. Aber darauf warten zu müssen, fünfmal am Tag gepeitscht zu werden, ist ein Grauen ohne Ende.
Im September fand in Teheran die erste internationale Messe statt. Das Messegelände befand sich nicht weit vom Evin-Gefänfnis entfernt. Abends schauten wir durch die dicken Eisenstäbe unseres Zellenfensters den Himmel, in dem bunte Ballons mit Fahnen und Werbezeichen von multinationalen Firmen schwebten. Auf einem Ballon, der hoch über den anderen flog, erkannten wie die britische Flagge. Die Logik des internationalen Handels war nicht durcheinandergebracht. An diesen Tagen habe ich mich- wie allen anderen auch- vergessen gefühlt. Wir waren die Vergessenen dieses Informationszeitalters.
Nachts offenbarte sich unsere Unruhe in Alpträumen. Bei jedem kleinen Laut, den eine im Schlaf von sich gab, sprangen wie wir elektrisiert auf, suchten die träumende Mitgefangene, reichten ihr etwas Wasser und legten uns wieder hin. Wieder Schlaf und wieder Alpträume. Sie haben unsere Freunden, unsere Verwandte, unsere Zellengenossen umgebracht und uns, die Hinterbliebenen zerstört.
Erst im November wurde die Lage „normalisiert“. Wie bekamen wieder die Tageszeitungen und Besucherlaubnisse wurden wieder erteilt. Das war seit langem der erste Hoffnungsschimmer, obwohl wir uns nicht sicher sein konnten, daß dieser tödliche Sommer wirklich zu Ende war.
Im Besuchsaal weinten unsere Angehörige und waren verzweifelt. Tief besorgt flehten sie uns an, wir sollten aufgeben und uns nicht sinnlos opfern. Sie waren monatelang täglich zum Ewin-Gefängnis gekommen, in der Hoffnung, irgendetwas über den Gefangenen zu erfahren, aber mussten immer wieder ohne Nachricht nach Hause fahren. Dann erweiterten sie ihre Versammlungen. Sie versammelten sich vor dem Justizpalast und vor der Staatsanwaltschaft. Sie schreiben Briefen an das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen. Und zuletzt schrieben sie einen offenen Brief an Rafsanjani und stellten ihm ihre nie beantworteten Fragen:
wieviele wurden umgebracht? Warum und nach welchem Gesetz wurden sie zum Tode verurteilt und wo liegen die Toten?
Die Islamische Republik hat bis jetzt zu diesem Massaker geschwiegen und weigert sich, Informationen darüber zu geben. Man fragt, welche Hintergründe hatte diese verhängnisvollen Entscheidung. Ablenkung der Niederlage im Krieg oder Angriff der Volksmojahedin über die Grenze zu Irak? klare Erklärung zu diesen Fragen ist erst möglich, wenn die islamische Regierung gezwungen wird, die geheime Akte zu veröffentlichen.
Aber was dazu führte, die Unmöglichen möglich wurden, ist klar und umstritten: Es liegt in einem Rechtssystem, das eng mit dem Islam verbunden ist. Der Grundstein zu dem katastrophalen Massaker liegt an Ereignissen, die gleich nach der Machübernahme der Islamisten im Iran vorgekommen waren. Sie führten die islamischen Strafgesetzgebung, die mit der Konstitutionellen Revolution von 1906 abgeschafft wurde, wieder ein und gründeten die „islamische Tribunals“ und übertrugen die gesamte Justiz der Geistlichkeit. Die islamische Strafmaßnahmen wie das Abhacken von Händen bei Dieben, Auspeitschung und Steinigung wurden wieder eingeführt. Zum Ziel der politischen Unterdruckung tauchen religiöse Begriffe auf, wie „Unrein“, „Heuchler“, die so unklar sind, daß jeder Geistlicher sie willkürlich interpretieren und gegen sie Urteile aussprechen kann. So wurden Gefangene ohne einen rechtmäßigen gerichtlichen Prozess verurteilt und hingerichtet. Dies erreicht ihr Höhepunkt im Jahr 1988 und dauert bis heute.
Die Regierenden im Iran, die direkt und undirekt in den Verbrechen von 1988 teilhatten, wollen nicht, dass dieser Akt ans Licht kommt. Sie versuchen die Angehörige der Hingerichteten im Iran durch Einschüchterung und Terror zu entmutigen und sie zum Schweigen zu bringen. Aber die Mütter und Väter geben nicht auf. Sie organisieren jedes Jahr einen Gedenktag für ihre Töchter und Söhne und für all die namenlosen Helden, die ihre Leben für die Verteidigung und Ehre des Rechts auf freie Meinungsäußerung geopfert haben. Sie treffen sich in einem verlassenen Friedhof, wo vermutlich die Ermordeten in den Massengräbern liegen. Sie tragen die Fotos von ihrer ermordeten Kinder und decken die Erde, in der keine Grabstein zu sehen ist, mit Blumen. Der Friedhof heißt Khavaran und er ist dazwischen als ein Symbol für die Widerstand gegen die Vergessenheit geworden und auch als Beweis für die Verbrechen der Islamischen Republik.
Die Angehörigen der Hingerichteten haben versucht, von iranischen Gerichten Auskünfte zu erbeten. Vergeblich. Die Erpressungen und Bedrohungen von den Sicherheitskräften sind unendlich und immer Präsenz. Unter diesen Umständen scheint die Hoffnung, dass eine Klage gegen dieses Verbrechen vor einem iranischen Gericht erheben und dass RECHT gesprochen wird, wenig aussichtsreich.
Und wie ist die Gerichtsbarkeit auf die internationale Ebene? Gibt es Strafverfolgungsmöglichkeiten außerhalb des Irans, mit denen die Verantwortlichen des Massakers von 1988 vor Gericht gestellt werden zu können. In den letzten 20 Jahren hat die Volkergemeinschaft im allgemein akzeptiert, dass die schwere Menschenrechtverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf die internationale Ebene strafbar sind und hat neue Möglichkeiten geschaffen.
Auch Iraner im Exil, überall auf der Welt organisieren Gedenkveranstaltungen. Wir wollen, dass alle Details des Massakers 1988 aufgedeckt und in der Öffentlichkeit verbreitet werden. Wir bemühen uns Dokumente und Zeugenaussagen und Informationen zusammenzutragen, um Verletzungen der Menschenrechte in der Islamischen Republik zu belegen. Wir sind überzeugt, ohne Wahrheit zu finden und ohne Gerechtigkeit, in der die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sollen, kann Verbrechen, wie das Massaker von 1988 immer wiederholt werden.
Es ist ein schwieriges Prozess, in dem die Leiden der Opfer anerkannt werden und die Täter ihre Verantwortung für ihre Taten annehmen. Aber es ist einen untrennbaren Teil jedes ernsthaften Schritten zur Erhaltung der Menschenrechte. Dies soll dazu beitragen, ein Bewusstsein für die verletzten Menschenrechte zu schaffen. Von den Erfahrungen anderer Ländern zur Demokratisierung ihres Landes wissen wir, dass die Wahrheitskommission ein wichtiger Teil des Übergangs zur Demokratisierung und Wiederherstellung von RECHT ist.
Die Wahrheitskommissionen, z.B in Argentinien, Süd Afrika, usw. konnten einem wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung von Vergangenheit und zur Gestaltung von Zukunft leisten.
Was heute im Iran passiert, ist eine Folge der Vergangenheit, die immer geschwiegen und vertuscht worden ist. Iran ist immer wieder durch Umfang und Schwere der Menschenrechte in den öffentlichen Schlagzeilen. ai. hat die Lage der Menschenrechte im Iran äußerst schlecht gezeichnet:
„Eine große Zahl von Oppositionellen und Kritikern befindet sich in Gefängnissen, viele infolge unfairer Prozesse. Die Todesstrafe wird häufig angewendet, Folter ist üblich. Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind eingeschränkt, ethnische und religiöse Minderheiten werden verfolgt, Frauen im täglichen Leben diskriminiert. Anwälte, Journalisten und all diejenigen, die sich trauen, für die Menschenrechte einzutreten, tun dies unter dem ständigen Risiko der Inhaftierung oder der Willkür durch Sicherheitskräfte, die ungestraft handeln können.“ Jüngste ai Bericht zur Lage der Menschenrechtsverletzungen im Iram.
Vergessen wir nie, was geschah und geschieht. Wir werden, solange wir leben, darüber schreiben und reden, um es an die nächsten Generationen weiterzugeben, um ein kollektives Gedächtnis zu schaffen. In der Hoffnung, nie mehr, nie wieder die Würde der Menschen verletzt wird.
September, 1998
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