Exil: Ein doppelte Trauma für die Folterüberlebendene

Monireh Baradaran, 1997



1 - Einleitung

2 - Ein paar wichtige Verhaltensauffälligkeiten bei den Frauen, die jahelang Haft und Folter hinter sich haben.

3 - Welche Bedingungen sind für eine Reintegration hilfreich?
Was erwarten die Folteropfer von der Aufnahmegesellschaft?



Einleitung

Haft und Folter gehören zu den schwersten seelischen und körperlichen Verletzungen, die Menschen getan werden. „ Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt“ beschreibt Jean Amery (1977) diese grausame Erfahrung. Versuche der Verarbeitung dieser Traumatisierungen stellen die Betroffenen vor spezifische Schwierigkeiten, Wobei Frauen durch die Folter und als Überlebende mit anderen Problemlagen konfrontiert sind als Männer.


Ich versuche zuerst aus meiner eigenen Erfahrungen ( neun Jahre Haft(1981-1990) im Iran) und auch mittels der Beobachtungen von anderen Ex-Mitgefangene unsere psychische Situation und die daraus folgenden gesellschaftlichen Probleme im Exil darzulegen, insbesondere die frauenspezifischen Aspekte. Danach versuche ich zeigen, was die Betroffenen von der Aufnahmegesellschaft erwarten, um das Trauma bewältigen zu können.


1- Ein paar wichtige Verhaltensauffälligkeiten bei den Frauen, die jahrelang Haft und Folter hinter sich haben:

- Schuldgefühle
Die Gefangene zu erniedrigen und sie innerlich zu zerstören, war eine übliche körperliche und besonders seelische Foltermethode für das islamische Regime im Iran. Z.B übten die Folterer alle Gewaltmethode aus, um die Gefangene zum Glauben zu zwingen, sie seien nichts als ein Mißstück, sie seien nur unverschämte Egoisten, die gegen des Willes des Volkes ihren tierischen Trieben folgten u ä.
Trotz des Widerstands gegen die Folterer und ihre Gewaltmethodene von den Gefangenen kann man nicht die Folgewirkungen diese jahrelang wiederholten seelischen Drucks außer acht lassen. Eine von der Folgewirkungen ist tiefe Schuldgefühle.

Man fühlt sich schuldig , da seine KameradInnen, GenossInnen ermordet worden sind; er allein überlebte blieb; verschont und war der Hölle entkommen. Unter dieser zerstörenden Gefühle leiden insbesondere diejenigen, deren Angehörige hingerichtet wurden. Ich schildere hier meine Gefühle nach dem Hören des Schusses, die eine oder einige von ihnen auf meinem Bruder abgefeuert wurden:
„ Der schwere Schatten des Schweigens erfüllte die Zelle. Manche weinten lautlos, ich auch. Mein Bruder und Azer, die vor ein paar Stunden noch bei uns saß, waren nicht mehr unter uns. Jeder einzelne der Ermordeten hinterließ eine Lücke, und nicht nur bei den Angehörigen. Aber wir lebten noch und gehörten dieser wircklichen Welt an.
Ich lebte. Ich atmete tief durch. Vielleicht war es ein tiefer Seufzer, das zufriedene Gefühl, am Leben zu sein. Es war eine schizophrene Empfindung; widersprüchlich, häßlich aber auch beruhigend. Du bist zufrieden und beruhigt, weil du noch lebst. Gleichzeitig trauerst du um einen Menschen, den du lieb hast und der nicht mehr lebt; empfindest wegen deiner eigenen Zufriedenheit Schuldgefühle. Der Verlust ist bitter, und diese Bitterkeit fühlst und schmeckst du überall in deinem Inneren. Sie breitet sich in deinem Bauch aus, und sie ist unverdaulich. Gleichzeitig hast du das Gefühl, noch existent zu sein.“

Insbesondere leiden die Frauen, deren Männer ermordet wurden, unter diesen Schuldgefülen, da sie sich dafür verantwortlich fühlen. Sie überidealisieren ihre Männer und verweigern, auf eine neue Partnerschaft einzugehen

- Genereller Haß gegenüber Männern, da sie jahrelang nur die Männer trafen, die die Folterolle spielten.
Nach der Entlassung, besonders in erste Phase, verhinderte diese Haßgefühle die Betroffenen, eine normale und vertrauensvolle Beziehung mit Männern, darunter auch mit männlich Verwandten aufzunehmen.

- generelle Sexuallstörungen, insbesondere bei den Frauen, die sexuelle Demütigungen oder Vergewaltigungen erlebt haben.
Tabuisierung hindert die Frauen, über Sexualität und sexuelle Gewalt zu sprechen, sogar bei BeraterInnen, TherapeutInnen, ÄrtzInnen u a.

- Viele der Folterüberlebendenen richten ihre quälenden Gefühle und Agressionen nicht gegen die Außenwelt, sondern gegen die eigene Person.

- Viele Betroffenen versuchen, das Geschehene zu vergessen, besser gesagt zu verdrängen, ohne dies bearbeiten zu lassen. Oft lehnen sie die Psychotherapie und die Selbsthilfe- Gruppen ab; sie sehen alles mißtrauisch. Das Exiltrauma erschwert, die Verfolgungerlebnisse verarbeiten zu können.
Gegenüber dieser Gruppen, die versuchen, die Vergangenheit zu vergessen, gibt es auch diejenigen, die immer noch in der Vergangenheit leben oder in der Erinnerung überleben. Sie errichten ihre Lebenssform, wie es früher im Gefängnis war. Sie blockieren sich in einen sehr engen Kreis von Ex- Mitgefangene.

- Für die Betroffenen ist die Wir- Ich Ambivalenz, die normelaweise in der Migration und dem Exil, besonders in der Eingangsphase, auftaucht, kein neues Phänomen. Für sie ist die Wir- Ich- Balance(Elias) schon lange in der Heimat zerbrochen worden und ihre Wir- Angehörigkeit wurde schon abgeschwächt, weil sie dort die herrschende Kultur und das Vorbild von Frauen die individuelle Unabhängigkeit, besonders wenn sie mit den Sitten, Religion und Nationalimus widersetzte, ablehnen. Das betrifft die Intellektuellen und Andersdenkenden, wie auch in großem Maß die Frauen in den Ländern, in dem Religion und Traditionen noch tief gewurzelt sind.
Man erlebt die Fremdgefühle nicht nur im Exil, in der Aufnahmegesellschaft, sie erlebten sie schon früher im Heimatland (doppelte Fremdgefühl und Distanz zu beiden Kulturen).

Ob die Distanz zu beiden Kulturen die Identifikationsfähigkeit erhöht, wie es Elcin Kürsat begrundet hat, ist in unserem Fall fraglich.
„Die erreichte affektive Distanz zu beiden Kulturen und Machtzentren, die Emanzipationen von den Identifaktionen mit den beiden Herrschaftssystemen, ermöglicht dem/ der GrenzgängerIn häufig eine höhere Synthese- und Kritikfähigkeit.
„ wenn die ursprünglichen Wurzeln fehlen, verortet man sich im ganzen Universum; wenn die urspüngliche Bindung zu einer Gruppe - sei es zu einer Sippe, Stadt oder Nation - gerissen ist, wächst der Radius der Identifkation.“[1]
Bei den Folterüberlebenden ist das komplizierter, weil in ihrem Fall auch die andere Phänomene, wie „Ich- Kränkung“ und das zerstörte Ich, eine entscheidende Rolle haben.

- Nostalgie existiert bei Folterüberlebenden nicht in der enge Sinne der Heimweh, sondern die Wünsche nach der verlorene Zeit, Träumen von verlorener Vergangenheit, vor dem Hafttrauma.
Dies führt oft zur Ablehnung der Änderungen und sich in dem alten Rahmen zu beschränken- sei es politische Überzeugungen, Lebensformen- oder unbewußte Sprachverweigerung
„ Die Schaffung kollektiver Mythen als Schutzabwehr gegen den Druck der etablierten Gesellschaft bedient sich eifrig solcher Symbole und Werte, die selbst häufig auf Zuschreibungen der etablierten Gesellschaft beruhen.“[2]

- Die unbewußte Sprachverweigerung ist eine weitere mögliche Folge dieser Verleugnung der schmerzlichen Gegenwart und der unbewußte Reaktion, das eigene Ich von weiteren Verletzungen unberührt zu lassen. Denn die Sprache gehört zu den ersten Objektbindungen. Diese starke dissoziative Abwehr tritt überwiegend unter Flüchlingen auf, die das Trauma des erzwingenen verlassenen Heimatsland nie verarbeiten konnten.


Welche Bedingungen sind für eine Reintegration hilfreich?
Was erwarten die Folteropfer von der Aufnahmegesellschaft?

Ein stabiles integriertes Ich als Prozeß der zunehmenden Aneigung neuer Kulturelemente kann sich nur innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen und durch die Teilhabe an den politischen und kulturellen Angelegenheten entwickeln, um die widersprüchlichen Anforderungen der fremden Gesellschaft und die inneren Schmerzen zu verarbeiten.
Das Diktat der fremden, herrschenden Zivilisation und Kultur dringt in die Psyche ein; sie durchlöscht das Selbstwertgefühl anstatt ihm Kreativität, Reifung und Entweiterung zuzuführen.
Die Betroffenen haben das starke Bedürfnis, in der neuen Gesellschaft angenommen, geschützt, geliebt und eingeschlossen zu werden. Sie brauchen einen potentiellen Raum, um die Kontinuität zwischen der Vergangenheit und der Zukunft zu sichern. Jedes Anzeichen der Ablehnung und des Ausschusses führt zu einer Erschütterung der gesamten „Ich- Köhärenz“.

Viele Schwierigkeiten, Symptomatolgien und Probleme haben nichts mit dem Foltererlebnis zu tun, sondern mit der Exilsituation. Die Betroffenen können nicht nur kaum auf vertraute Bezüge zurückgreifen, sondern müssen ständig neue Anpassungsleistungen vollbringen. Wie andere Exilanten müssen sie einen aufreibenden Kraftaufwand leisten, um den Schmerz um das Verlorene unversehrt bewahren zu können, gleichzeitig wird von ihnen ein anderer, ebenso intensiver Kraftaufwand gefordert, um weiterhin den gegenwärtigen Anforderungen des Lebens angemessen zu entsprechen.
Exil konfrontiert sie mit zahlreichen unwürdigen Lebenssituationen, die eine Verarbeitung von Verfolgungs- und Flucherlebnissen erschweren oder ihr entgegenstehen. Die Lebensbedingungen, beziehungsweise das gesamte Alltagsleben im Sammellager, also in der Eingangsphase, lassen Ängste und Resignation entstehen, die das Gefühl der Integration mehr und mehr beseitigen. Das Leben in Lager ist durch unfreiwillige Zwangsgemeinschaft, durch Isolation des Einzelnen und durch eine ständige Angst- und Gettosituation gekennzeichnet.
Folterüberlebende fühlen sich hier plötzlich wie im Gefängnis. Nicht nur durch die raümliche Enge, sondern auch durch die unterschiedlichen Interaktionen zwischen den Bewohnern. Das Leben in Sammellager ist geprägt durch Wiederholungen, Riten Auseinandersetzungen und gefähliche Monotonie.

Ich würde hier als Beispiel auf die erste Phase des Asylprozesses hinweisen. Man muß beweisen, was man unbewußt nicht erinnern will, und zwar in einer unvertrauten und Fremden Atmosphäre des Interviews bei Asylbehörden. Manchmal sind die Betroffenen nicht in der Lage, offen über die schmerzhafte Vergangenheit zu reden und das Verhalten des Interviewers erinnert sie das Verhör. Es kommt vor- und das passiert nicht selten nach der Beschränkungen des Asylgesetzes - daß ihr Asylantrag abgelehnt wird, weil die jahrelang Haft und Folter nicht als ausreichender Grund für Asylanerkennung angenommen wird.

Um sich in der Aufnahmegesellschaft zu integrieren, braücht es das Gefühl der Selbstbestätigung. Das „Nicht- Tun“ führt unweigerlich zum Gefühl, wertlos, ungebraucht und unerwünscht zu sein. Dies verursaht bei vielen tiefe Depression und Frust.

Wesentliche Vorraussetzung für eine Verarbeitung der entstandenen seelichen Verletzungen sind dabei eine Sicherheit vermittelnde Umwelt, sowie stabile, reale und verinnerliche, zwischenmenschliche Beziehungen.



Literatur
1- Die Zitate und manche Begründungen sind herausgesucht aus „ Migration als psychische Prozeß“ von Elcin Kürsat- Ahlers.

[1] vgl. Elcin Kürsat, Migration als psychische Prozeß, Phasen und Probleme, 1992, Kassel S. 168
[2] ebda., S. 164

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